TIGHTROPE WALKS

Seiltänze durch Theologie und Leben


HoffnungGebenLeben

Jerusalem. Nach vier Jahren wieder Jerusalem. Die Stadt empfängt mich mit ihrem Gemisch an Menschen, Religionen, Kulturen, Gerüchen. Mit ihrer geistlichen Tiefe und ihrer religiösen Routine. Auch mit ihren Spannungen. Und Wunden.

Spannungen hatten es mir in den Jahren seit meinem letzten, 12-monatigen Aufenthalt hier exegetisch angetan. Wie aus einer ungelösten, bleibenden Spannung ein Ort der Christus-Gegenwart, gar der Geburtsort einer Kirche wird, die alle Spannungen in sich trägt, sie lebt und darin universal und kosmisch wird, fasziniert mich besonders am Epheserbrief.

Jetzt also Konfrontation mit dem wirklichen Leben. Ein Land mit einer Bevölkerung, die zueinander in den unterschiedlichsten Spannungsverhältnissen steht. Ein Land der gegensätzlichen Narrative, die alle ein Stück wahr sind. Ein Land mit vielen Wunden und mit Verwundeten, die manchmal um sich selbst zu schützen selbst zu Verwundern werden. Ein Land mit einem nach menschlichem Ermessen unlösbar scheinenden Konflikt. Ein Land, in dem besonders auf der einen Seite immer mehr versucht sind, die Hoffnung aufzugeben.

Land ohne Hoffnung? In den Tagen hier höre ich viele Geschichten. Die Salesianer, die Berufsausbildungen für junge Leute in Bethlehem anbieten, die teilweise drei Stunden für den Weg zur Schule brauchen. Die alten Don Bosco Schwestern in Cremisan, die ganz einfach eine Gebetsoffensive starten, « weil so viel passiert, und irgendwer muss ja noch beten ». Eine andere, die mir sagt, sie lebe in der und für die Dankbarkeit. Eine kleine Schwester Jesu, die mit ihrer Gemeinschaft mitten in einem muslimisch geprägten Teil der Jerusalemer Altstadt lebt und als ihr Charisma die Beziehungen, Freundschaften – zu Christus und allen Nachbarn, jeder und jedem der kommt – bezeichnet.

Das alles löst den Konflikt nicht. Es verhindert keine Wunden und hebt keine Spannung auf. Aber es gibt Hoffnung, die zum greifbaren Zeichen wird und so etwas verändert. Und so Wunden nicht verhindert, aber mit-leiden und mît-heilen kann.

Gestern ein Besuch in Bethanien. 5 km von der Jerusalemer Altstadt, aber auf der anderen Seite der Mauer und deshalb eine Stunde Anfahrt. Maria, die das Nardenöl über die Füsse Jesu gießt. Verschwendung ohne zurückzuhalten. Ein Zeichen, das den Lauf der Dinge nicht geändert hat. Aber es schafft eine Beziehung, die mit-leidet und deshalb auch mît-heilen kann. Die so in Beziehung zu Jesus steht, dass sie sich verschenkt (vgl. Joh 12).

Vielleicht fängt neues Leben damit an, in den Spannungen und Wunden zu bleiben; sie mit-zuleiden, mit-zulieben und so Hoffnung zu sein, die mit-heilt. Wenn ich in Jerusalem etwas lernen kann, dann dass alle diese kleinen Gesten und alltäglichen Zeichen nicht nutzlos sind. Sie verändern die Welt.

3 Antworten zu “HoffnungGebenLeben”

  1. Eindrückliche Zeilen, danke! Ja, wir brauchen eine Kirche, die nicht nur als Glaubens-, sondern auch als Liebes- und – immer wichtiger – Hoffnungsgemeinschaft gelebt wird.

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  2. Bravo Gudrun, ich bin ganz mit Dir einverstanden. Seien wir wie Abraham: gegen jegliche Hoffnung hoffen und klein jeden Menschen lieben, den wir treffen…

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